Montag, 28. November 2022

Mindsets: Meine Eltern werden pflegebedürftig, was nun? Die Sicht der Angehörigen

 Meine Eltern werden pflegebedürftig, was nun? Die Sicht der Angehörigen

Was ich jetzt beschreibe ist eine Sicht auf die häufigsten Erfahrungen die ich im Bezug auf Angehörige gemacht habe.

Dabei möchte ich unterscheiden zwischen denen die Ihre Angehörigen pflegen wollen, denen die es auf keinen Fall wollen und denen die es bereits tun und so nicht mehr weiter können.

Eine Vorbemerkung die mehr oder weniger allen Gruppen zu gleich gilt:

Ein Großteil des Verhaltens, das in diesen Fällen auftritt ist für Pflegeprofis unter dem Aspekt Trauer- oder Krisenphasen zu sehen. Wer sich damit tiefergehend beschäftigen will kann das gerne unter folgendem Link tun Phasen einer Krise - quarks.de

Warum ich das anführe? Weil es in allen genannten Fällen zu einem Bruch im bisher eingeschlagenen Lebensweg kommt. Jetzt könnte man sagen, dass alle doch irgendwie damit rechnen, aber ehrlich gesagt ist das in den meisten Fällen gar nicht der Fall. Die meisten Menschen die ich kenne reden zwar über Alter und Pflegebedürftigkeit, aber sie wissen kaum worüber sie reden oder wie Pflegebedürftigkeit aussieht. Es beruht oft auf Hörensagen und Vermutungen. Warum ist das so? Warum wird Pflegebedürftigkeit versteckt? Auch da weiß der Profi direkt was dazu führt. Die beiden bekannten Gefühle Scham und Ekel. Mit dem Gedanken der Pflegebedürftigkeit umzugehen heißt, so wie es gerne mal gesagt wird, nicht mit Ausscheidungen umzugehen. Es ist das Umgehen mit dem Eindringen in den höchst privaten Bereich. In einen Bereich in den wir eigentlich nur Menschen mit denen wir eine innige Beziehung führen lassen. Lapidar gesagt heißt es sich nackt zu machen und nicht nur im Wortsinn sondern auch die Seele. Gerade heute wo Gesundheit, oder das was Menschen dafür halten, eines der Top Themen ist. ist Gebrechlichkeit kein Thema über das man gerne reden möchte. Insbesondere weil Krankheiten auch häufig in den Kontext des individuellen Fehlverhaltens gerückt werden. Als weitere Zutat zur Krise kommt dazu, dass ausgerechnet die Menschen, die einem ein Leben lang Sicherheit vermittelt haben nun unsicher werden. Auch hier erinnere ich daran, dass es Ausnahmen gibt, ich beschreibe die Regel. Weiterhin kommt finanzielle Unsicherheit dazu. Die Erkenntnis, das Hilfe Geld kostet kommt oft erst mit dem ersten Kostenvoranschlag oder Angebot. 

Diese Gemengelage trifft jetzt Menschen die bisher ein selbstbestimmtes geregeltes Leben hatten. Auch die, die bisher die Hilfe in Eigenregie geleistet haben. Ich bestreite auch hier nicht, dass diese Menschen vorher keine Zwänge und Sorgen hatten. Sie mussten diese allerdings noch nicht mit Fremden teilen. 

Und damit fangen die eigentlichen Probleme erst an.

Die pflegenden Angehörigen

Die pflegenden Angehörigen sind Profis in Pflege, so denken die meisten. Aus professioneller Sicht kann man das nicht sagen und das Gros kommt nicht über das Stadium ambitionierter Amateur hinaus. Das ist, so glaube ich, für die allermeisten Belange auch gar nicht nötig. Denn Hilfebedarf ist nicht gleich Pflegebedarf. Nun denkt der ein oder andere, was schreibt der da, mein Angehöriger kann gar nicht alleine sein, also braucht er Pflege. Diesen Satz habe ich schon 1000 mal gehört. Die professionelle Sicht ist da ganz anders. Nicht jede Hilfe ist Pflege und genau so dramatisch und auch oft im familiären Setting gesehen, nicht jede Pflege ist Hilfe. Allzu oft liefen Gespräche mit pflegenden Angehörigen nach folgendem Muster ab. 
"Wie können wir ihnen Helfen?"
"Sie sehen ja, meine Frau (hier darf jeder einsetzen was er möchte) kann gar nichts mehr"
Die Frau sitzt am Tisch und trinkt Kaffee.
"Ich sprach mit Ihrer Frau"
"Sie versteht gar nicht was hier los ist!"
"Lassen sie mich anders Fragen, was genau machen sie für Ihre Frau?"
"Alles!!"
"Aha, und wie kommen wir dann ins Spiel?"
Hier folgt eine ellenlange Beschreibung dessen was der Angehörige macht. Von Zeitung vorlesen bis Wäschewaschen. Daraufhin eine exakte Beschreibung was die Pflege tun soll. Wobei hier Körpernahe Dienstleistung, in der Regel, ausgenommen sind, es sei denn sie sind körperlich sehr belastend. 
Dann kommt die Stunde der Wahrheit, man erklärt, was man bei, Achtung, Pflegegrad 3 so tun kann und was die Wünsche extra kosten. 

Kosten? ja Kosten! 
Da ist der Erste Konfliktpunkt gegeben. Man Erklärt das System des SGB XI und erntet wenig Wohlgefallen. Schweren Herzens überlegt sich der Angehörige sich ein Angebot machen zu lassen, in dem der Pflegegrad ziemlich ausgeschöpft ist.
Von nun an wird man bis zur Erstellung des Angebotes nicht behelligt.
Dann wird es Ernst. 
Der Pflegedienst kommt. Und da zeigt sich der wahre Pflegeprofi. Der Angehörige fragt nach dem guten Tag erstmal nach Qualifikation, Berufserfahrung ob man jemals schon einmal eine so schwere Pflege gemacht hat. Er erklärt wie genau man jede Handreichung zu machen hat und warum. Kleinste Hinweise auf andere Möglichkeiten dies zu tun lehnt er ab, in der Regel mit Vehemenz. 
Da schlägt die Stunde des echten Pflegeprofis, man hört zu und ordnet ein was der Angehörige sagt und versucht zu verstehen wie er so denkt. Weil, glauben sie mir, das meiste was sie zu hören bekommen ist medizinisches Halbwissen gepaart mit Betreuungshinweisen. Ja, es kann auch Spuren von Pflege enthalten, aber in der Regel ist das nicht der Fall.

Warum ist das so?

Das muss man in verschiedene Aspekte aufteilen.

Zum Ersten, und das ist ein Punkt der wirklich fast ausnahmslos jeden Angehörigen betrifft, egal ob pflegend oder nicht: Sie haben keine Ahnung was Pflege ist! Sie glauben Pflege ist da sein mit waschen und zur Toilette bringen und wissen was der Angehörige für Tabletten nimmt. Das kann man ihnen aber auch gar nicht übel nehmen. Das Bild was öffentlich von Pflege gezeigt wird, lässt ja keinen anderen Schluss zu. Dabei wird sich eben auch des Midsets der Angehörigen bedient. 

Zum ersten ist es die Angehörigen als größten Pflegdienst Deutschlands zu bezeichnen. Das mag aus Sicht von Politik oder vielleicht auch Medien so wirken. Problematisch ist die Bezeichnung wenn man Versucht ein Gespräch mit Angehörigen zu führen. Es Suggeriert eine Augenhöhe die nicht da ist. Pflege wird als etwas wahrgenommen, was im Prinzip jeder kann, wenn er sich nur damit beschäftigt. Und diese Einstellung habe ich schon hundertfach getroffen. Das ganze kann gut gehen, solange die fachfremde Einschätzung der Angehörigen mit der professionellen Ansicht der Fachkräfte zusammenpasst. Ist das nicht der Fall passiert in der Regel Folgendes: 
Die Angehörigen berufen sich darauf den zu Pflegenden besser zu kennen, erklären was WIR zu tun haben weil wir ja Dienstleister sind. Dort könnte die Geschichte nun Enden. Es gibt aber ein Problem, die Angehörigen sind nicht die, die Pflege benötigen. Es ist der zu Pflegende! Und wenn sich die Ansichten der Angehörigen mit fachlichen und evidenzbasierten Verfahren überkreuzen verlangt es das berufliche Selbstverständnis einer Pflegekraft für seinen Patienten einzutreten. Der Konflikt ist vorprogrammiert. 
Zum Zweiten ist ein Problem. dass gefährliches Halbwissen heute überall verfügbar ist. Dazu fällt mir nur das Bonmot ein: 

Ich habe meine Symptome gegoogled, ich hab entweder einen Schlaganfall oder eine defekte Zylinderkopfdichtung.

Das trifft den Kern mancher Aussagen im Internet voll zwischen die Augen. Auch das führt dazu, dass Aussagen der professionellen Pflege gerne mal, mit entschuldigen sie, Internet-Bullshit in Zweifel gezogen werden. 
Aber auch hier, woher sollen die Menschen das auch wissen. Es ist müßig sich daran abzuarbeiten.
Selbst wenn wir jedem erklärt hätten was Pflege ist und wie sie als Profession funktioniert, dann hätten wir ein Problem.
Und damit sind wir bei Punkt drei. Die Angehörigen haben Vorstellungen wie ihr Konkretes Problem gelöst werden könnte. Die pflegenden Angehörigen sogar ganz konkrete. Sie brauchen Unterstützung um den Alltag zu meistern. Wenn wir es nun aber nicht Pflege nennen, sondern das was es in der Regel  ist, Betreuung, Beaufsichtigung, Kontrolle wer unterstützt dann die Menschen? Sie ahnen es, Niemand!
Es gibt keine Betreuungsversicherung. Ein Großteil der im SGB XI hinterlegten Leistungen ist um es ehrlich zu sagen von einem dressierten Affen leistbar. Aber das ist es was den Menschen als Pflege verkauft wird. Ich Spoiler mal auf die Folge Mindset der Pflegefachkräfte, ist es nicht.
Angehörige verorten sehr Zielsicher Vorbehaltsaufgaben der Pflege, so wie auch Kompetenzen bei Beobachtungen und Interventionen zu fast 100% im medizinischen, sprich ärztlichen Bereich. Bei den einfachsten Dingen wird der Pflegekraft zu oft gesagt, wie können sie das sagen sie sind kein Arzt, oder fragen sie den Arzt, dem sind sie ja unterstellt. Das ist einfach falsch. Ärzte sind nicht unsere Chefs!
Aber auch das wissen eben viele nicht.
Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass alle diese Dinge die ich genannt habe in bester Absicht für den zu Pflegenden passieren. Es ist ja auch nicht einfach sich Hilfe zu holen in einem so privaten Bereich. Das dort die Kontrolle nicht bei einem externen Menschen liegen soll ist nachvollziehbar. Das sind oft langwierige Prozesse bis sich eine von Respekt gekennzeichnete Zusammenarbeit entwickelt. Wer will denn such hören, dass vieles was man in bester Absicht für seinen Angehörigen getan hat vielleicht nicht zielführend oder gar schädlich war.
Die Problematik an der Situation ist, was vollkommen natürlich ist, die Angehörigen stehen zu einander in Beziehung. Das ist für viele Aspekte wichtig. Aber nicht für alle. Hand aufs Herz, wer glaubt nicht von seinen Lieben, dass er weiß wie die ticken und was sie benötigen oder ablehnen. Das stimmt, aber auch nur zum Teil. Insbesondere wenn es um einschneidende Lebensereignisse geht ist das was man sagt und das was man fühlt nicht immer das selbe. Mensch die man als starke und selbstständige Personen kennen gelernt hat zu sehen wenn sie auf Hilfe angewiesen sind macht etwas mit einem selbst. 

Oft ist die Reaktion den Menschen schützen zu wollen vor dem, was er vermeintlich nicht will.

Das Reden über den zu Pflegenden ist eine Sache die immer wieder vorkommt, auch wenn die Person anwesend ist. Pflegbedürftig zu sein heißt nicht, dass man seine Belange nicht vertreten kann. Das anzunehmen ist ein Symptom dieses Mindsets! 
Ich verstehe, dass man den Betroffenen davor schützen möchte in die Lage zu kommen vor anderen zu sagen was er benötigt. Aber ob man dem zu Pflegenden gerecht wird wird in der Regel nicht infrage gestellt. Die Rolle kann in der Regel kein pflegender Angehöriger einnehmen, meist auch dann nicht, wenn er selbst vom Fach ist. 
Der Abstand um den ganzen Menschen ohne Vorurteile in den Blick zu nehmen wird in der Regel nicht erreicht.
Ich meine nicht, und das ganz explizit, ein im schlechten Sinne gestelltes Vorurteil. Pflegende Angehörige sind immer einen langen Weg mit der Person gegangen um die es nun geht, daraus resultieren Rollenerwartungen die gestellt werden.
Um noch einmal auf Krisenphasen einzugehen. 
Auch wenn man bis zum eintritt in diese Phase gemeinsam gegangen ist, heißt es nicht, dass man danach noch die selben Ansichten hat. Vielleicht möchte, wenn er zum ersten Mal Pflege von außerhalb der Familie erfahren hat, der zu Pflegende einfach nur noch Zeit mit seinen Lieben verbringen ohne den Fokus auf den Verlust von Selbständigkeit oder Krankheit zu legen. Auch wenn sie sich geschworen haben, dass man gemeinsam alles schafft. Das Loslassen fällt den pflegenden Angehörigen unfassbar schwer. Sie wollen die Last tragen, auch wenn sie vielleicht schon lange viel zu schwer ist. Es fühlt sich an wie scheitern. Und da sind wir wieder bei dem oben bereits erwähnten da sein. Es ist verfügbar sein, vor Ort sein und jederzeit bereit. Das kann Pflege natürlich nicht leisten. Es ist ehrlich gesagt auch noch nicht nötig, zumindest aus pflegerischer Sicht. Angehörige möchten helfen, keine Frage. Aber wobei? Es ist ihnen nicht vorzuwerfen, dass sie den ganzheitlichen Blick nicht haben. Eine Mischung aus selbst induzierter Verantwortlichkeit für den zu Pflegenden, eigenen Möglichkeiten und auch einer Prise schlechtem Gewissen führen oft zu Überkompensation. Der zu Pflegende wird in Watte gepackt, er hat es ja schon so schlecht. Das führt dazu, dass Ressourcen des zu Pflegenden nicht genutzt werden und im schlechtesten Falle verkümmern. Es tritt oft eine schleichende Entmündigung des zu Pflegenden ein. Das geschieht aber in bester Absicht. Pflege ist ein Prozess in dem die Autonomie des zu Pflegenden weitgehend wieder hergestellt wird, es geht darum neue Wege zu finden und nicht alles verlorene zu 100% durch andere zu kompensieren. Auch müssen nicht alle zu Pflegenden den ganzen Tag beaufsichtigt werden. Es sind in der Regel erwachsene Menschen. Besonderheiten sind natürlich Menschen mit starken kognitiven Veränderungen, das wäre aber ein gesondertes Thema für einen Blogpost.  Ich kann dazu nur kurz sagen, ich habe kaum etwas gesehen wo soviel Überforderung, Leid und Scham bei den Angehörigen zu sehen ist. Das gehört in die Hände der Profis, wirklich. Sie werden damit nicht auf Dauer umgehen können, es wird Sie verändern und in der Regel nicht zum Guten. 

Zu dem Mindset gehört auch, entweder früher oder später, eine das steht mir zu Attitüde. Das ist verständlich, man gibt alles für den Angehörigen und braucht Entlastung. Was hier aber passiert ist folgendes. Wie man an der Formulierung schon hört geschieht hier ein Perspektivwechsel. Es steht mir zu unterstützt zu werden. Das ist aber gar nicht der Fall, dem zu Pflegenden steht Unterstützung zu. Nicht den Angehörigen. Auch bekommen die Angehörigen kein Pflegegeld, sondern der zu Pflegende. Es ist kein Lohn für die Mühe, sondern etwas was der zu Pflegende zur Verfügung bekommt um die Pflegepersonen bei Laune zu halten. Er braucht zu erst Unterstützung. Die Angehörigen sicher auch, aber es steht ihnen eben nicht zu. Daraus ergibt sich eine ziemlich ungemütlich Dreiecksbeziehung. Die Angehörigen fangen an ihre Belange vor die Belange des zu Pflegenden zu stellen. Sie wollen bestimmen was wir abzunehmen haben und wie wir es zu tun haben, sie sehen sich in der Kundenrolle.

Ich werde nun wie ich im ersten Teil erwähnt habe alle über einen Kamm scheren und sicher nicht jeder individuellen Situation gerecht werden. Ich bin mir aber sicher, dass pflegende Angehörige sich in einigen Punkten darin wiederfinden können.

Das Mindset:

1. Man möchte den Angehörigen nicht im Stich lassen
2. Man glaubt zu wissen was jetzt nötig ist, damit es dem zu Pflegenden gut geht
3. Man kompensiert weitgehend alle Dinge die nicht mehr wie früher gemacht werden
4. Man denkt wenig darüber welche anderen Möglichkeiten bestehen das Problem zu lösen.
5. Die Basis der Arbeit ist wie der zu Pflegende früher war und die aktuelle Situation wird verdrängt.
6. Die Angehörigen fühlen sich überfordert und haben keine weiteren Ressourcen.
7. Der Blick wendet sich auf die eigene Hilflosigkeit
8. Es wird viel über den zu Pflegenden gesprochen und wenig mit ihm
9. Der Prozess der zusätzlich nötigen Pflege wird nur aus der Perspektive des Angehörigen gesehen
10. Die professionelle Pflege wird als Kompensation der eigenen Hilfsbedürftigkeit gesehen und nicht der des zu Pflegenden.

Das führt dazu, dass die eigne Rolle nicht mehr ausreichend hinterfragt wird. Das ist aber für eine gesunde Pflegebeziehung(1) unerlässlich.

So sind Konflikte vorprogrammiert.

Nächster Teil:

Die nicht pflegenden Angehörigen

(1) BÜKER, Christa. Die Pflegebeziehung-Begriff, Besonderheiten, Bedeutung. Beziehungsgestaltung in der Pflege, 2019, 1. Jg., S. 15-43.


 

Donnerstag, 3. November 2022

Mindsets

Eine kleine Serie über Sichtweisen

Ich denke schon seit einiger Zeit darüber nach etwas über die verschiedenen Sichtweisen die von zu Pflegenden, Pflegefachkräften, Pflegehilfskräften, pflegenden Angehörigen und zu Letzt auch der Politik eingenommen werden. Natürlich ist mir klar, dass ich hier keinen Anspruch auf objektive Wahrheit erheben kann. Allerdings traue ich mir mit meiner Berufserfahrung zu ein Bild davon zu haben wie im Mittel die Sichtweisen sind. Es sollte jedem klar sein, es gibt Ausnahmen und auch in beide Richtungen. 

Allgemeines zum Diskurs

Damit sind wir auch schon bei einem Problem, was im Diskurs über Pflege, auch eigentlich in sehr vielen Diskursen, immer wieder aufkommt. Bitte scheren Sie nicht alle über einen Kamm

Diese Sichtweise, die als eigentlich selbstverständlich gilt, so meine ich, macht viele Probleme im Grunde unlösbar. Nicht auf der persönlichen Ebene, aber auf der gesellschaftlichen Ebene. Die Beachtung jeder Individualität ist ein Ziel, was am Ende, also bei der Ausführung und der Arbeit mit Ergebnissen eines Diskurses stehen sollte. Postuliere ich die Individualität am Anfang hat das Folgen, die, ich glaube das will niemand wirklich hören, zur Folge haben, dass das Motto sein wird jeder ist sich selbst der nächste. 
Es gilt, insbesondere für die Pflegepolitik, Ziele möglichst allgemeingültig zu formulieren. Der Einwand ein Ziel muss immer im Konsenz formuliert sein, halte ich für falsch. Dabei kommt oft nur der minimalste Nenner raus und man versucht so viele Einzelinteressen zu vertreten, dass man sich den Diskurs hätte sparen können. Eigentlich sollte das Lebenserfahrung sein: 
Eine Entscheidung macht nicht jeden Glücklich. 
Vielleich sollte ich hier auch noch an das viel zitierte salomonische Urteil erinnern. Dort wurde ein Urteil gefällt, nicht versucht alle beteiligten glücklich zu machen. Es ging auf neudeutsch um das beste Outcome für alle Beteiligten. Das ist das Wesen einer Entscheidung, es gibt immer Verlierer und Gewinner. Aber solange es mehr Gewinner als Verlierer gibt ist die Entscheidung nicht grundsätzlich Falsch. Genau deswegen muss man gedanklich ab und zu alle über einen Kamm scheren.
Ja, das ist Schubladendenken. Aber die Reduktion eines Problems auf überschaubare  Parameter macht meiner Meinung nach Entscheidungen erst möglich. Wer glaubt er könne mit einer Entscheidung allen helfen, der ist entweder Hoffnungslos romantisch, oder er hat keine Ahnung von der Komplexität des Problems. Wer das nicht glaubt, der überschätzt möglicherweise seine eigne Kompetenz.

Warum dieser Exkurs

Ich werde in meiner kleinen Blogpost-Serie einige Sichtweisen der beteiligten Gruppen beleuchten. Allerdings werde ich nicht jedem damit gerecht werden. Ich werde es ganz bewusst auf wenige Fakten die im Mittel zutreffen reduzieren. Ich möchte im Kern über meine Gedanken dazu aufschreiben und nicht jedes mögliche Szenario mit denken. Das ist, glaube ich, weder nötig noch sinnvoll. Ebenso bin ich mir bewusst, dass diese Serie auch nicht ohne subjektive Eindrücke auskommt. Ich denke, das  ist auch gar nicht nötig, deswegen werden ich auch nicht mit Belegen oder Zitaten arbeiten. Aber es soll Zeigen, warum die Mindsets bezüglich Pflege do unterschiedlich sind und es eigentlich mit dem Begriff Pflege schon anfängt. Und dazu habe ich auch eine kleine Aufgabe für die, die sich die Post Serie antun wollen. Was verstehen sie unter Pflege und Pflegebedürftigkeit und was ist für Sie Hilfebedarf und Hilfsbedürftigkeit.

Und wenn sie im laufe der Serie wieder erkennen und zu einer neuen Erkenntnis kommen, dann lassen sie einen Kommentar da. Ich hoffe, dass daraus ein Diskurs werden kann in dem man sich auch auf die Sichtweisen anderer Einlassen kann. Leider kann ich nicht sagen, dass jede Woche eine Folge fertig wird denn auch meine Zeit ist begrenzt. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass der ein oder andere Leser es bis zu ende durchhält.


Euer Garcon

Nächste Folge:

Meine Eltern werden pflegebedürftig, was nun? Die Sicht der Angehörigen

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Das vergiftete Geschenk

Das vergiftete Geschenk

Ich habe an dem folgenden Text länger laboriert und ehrlich gesagt wusste ich nicht ob ich dazu überhaupt etwas schreiben sollte. Meine Erfahrung ist, dass es niemanden interessiert was im Gesundheitssystem los ist. Die Gesundheitskompetenz ist auf dem Tiefpunkt angelangt, jeder glaubt er könnte sich ewig gesund halten, aber scheitert bei den einfachsten Krankheiten. Wenn skandalöse Bedingungen aufgedeckt werden ist der Ruf nach mehr Kontrolle das einzige was passiert. In einer Zeit wo Narrative und Wordings der neue heiße Scheiß sind, ist mit Analyse und Strategie nicht mehr viel zu reißen. Also gehe ich davon aus, dass die eingeweihte Bubble mir zunicken wird und ansonsten ist egal was Pflege zu Pflege sagt. Der aufgeklärte Bürger weiß es schließlich besser. Er ist ja gesund und das wir auch immer so bleiben. Unfälle, Krankheiten, Infektionen passieren ja nur den ungebildeten und unvorsichtigen Mitmenschen. Sollte es doch passieren dann ist der Augenöffner da, doch leider werden dann die Schuldigen nie an der richtigen Stelle gesucht. Aber sei es drum. Ich schreibe und bin es los. Auch wenn es nichts bewegt, es tut mir gut. Das ist eigentlich das wichtigste, damit ich gesund bleibe.

Was bisher geschah:

Die Pflege in Deutschland liegt ja nun schon seit längerem auf dem Sterbebett. Es wurden daher allerlei große Ideen eingebracht wie die Pflege zu retten ist. Fachkräfte aus dem Ausland oder eine Ausbildungsoffensive oder was auch immer Politikern so zu dem Thema einfallen ist. Alle diese gut gemeinten Maßnahmen hatten aber von Anfang an einen Geburtsfehler. Keiner hat sich damit beschäftigt wie die Dispositionsmasse Pflege die Sache sieht. Nehmen wir die Ausbildungsoffensive, gut gemeint aber was genau bringt eine Ausbildungsoffensive in der ich meine Hilfskräfte zu Fachkräften ausbilde um dann hinterher keine Hilfskräfte mehr zu haben und diese dann wieder umständlich am Arbeitsmarkt zu beschaffen. Aber gut, das ist ja die Antwort auf alles in Deutschland, Bildung. Ach nein, es gibt ja noch eine universelle Antwort auf Fragen wenn Arbeitskräfte fehlen: Zuwanderung. Mal abgesehen davon, dass wir anderen Ländern die mit Sicherheit auch nicht in Fachkräften schwimmen die Fachkräfte weglocken wollen, ist da ja auch noch eine Sache. Hätte man mit Leuten vom Fach ernsthaft geredet wäre möglicherweise, ich betone möglicherweise, warum erkläre ich später, zu der Erkenntnis gekommen, dass was der Deutsche, insbesondere der deutsche Politiker unter Pflege versteht nicht ganz dem Kompetenzprofil Ausländischer Kollegen entspricht. Die sind keine Hochleistungswaschlappen, sondern zum Teil akademische Pflegekräfte die, da staunt der Deutsche, Pflege als Profession betrachten. Nicht etwa als Waschlappenakrobatik und Exkrementbeseitigungszunft. Dass diese Leute bei der Stellung der Pflege in der Gesundheitsbranche schreiend weglaufen würden war eigentlich zu erwarten.


Nun kommen wir zur dem versprochenen möglicherweise von oben. Meine Erfahrung ist, dass genau in dem Moment wo Pflege an der richtigen Stelle etwas sagen könnte allzu oft die Vertreter, oder die die dazu Berufen werden, an plötzlicher Stimmbandlähmung leiden. Oder an Gedächtnisstörungen. Oder vielleicht auch beidem. Vielleicht ist es aber auch die Sozialisierung der Pflege die dort die Luft abschnürt.

Die Pflege will ja, qua ihrer professionell dienenden Einstellung, niemandem auf den Sack gehen, auch nicht wenn es dringend Geboten wäre. Andererseits ist es vielleicht auch einfach nur Feigheit, weil man ja vielleicht nie wieder zu so etwas wichtigem eingeladen wird, wenn man jemandem mal eine klare Kante zeigt.


Das führt dann auch dazu was wir nun haben: Eine Situation bei der man sich nur gepflegt den Kopf gegen eine beliebige harte Oberfläche schmettern kann damit man so viel Kurzsicht ertragen kann.



Der Große Wurf

Der bisher größte Wurf in der Geschichte der Pflegereformen ist mit ziemlicher Sicherheit das:


Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) 


Und die sich daraus ergebenden Nebenbedingungen. Und damit sind wir nun auch beim vergifteten Geschenk. Das steht im §72 3a bis 3f SGB XI. Zunächst wirkt es so als wenn der Gesetzgeber endlich verstanden hätte, das eine faire Entlohnung in der Pflege überfällig ist. Das kann man auch als dringend überfällig betrachten. Warum also ein vergiftetes Geschenk, ist doch alles bestens. Die Pflege erhält im Schnitt mehr Lohn, damit wird der Beruf attraktiver die Personalnot schwindet, alles wird gut.
Auch da unterstelle ich den Akteuren Kurzsichtigkeit. Dazu muss man allerdings mal über folgendes nachdenken. Wie wollte man noch die Kosten der Pflege senken? Na erinnert man sich noch daran. Richtig! Über den Markt und mehr Konkurrenz. Das funktioniert ja, dass weiß ja jedes Kind. Blöd halt nur, dass man die Art der Finanzierung ein wenig vergessen hat. Es gibt einen Satz der zur Verfügung steht und nach einer Bedürftigkeitsprüfung zur Verfügung steht. Bedürftigkeit nettes Wort, böse Falle. Bedürftigkeit ist nicht der Bedarf. Es wird kein Bedarf festgestellt. Der Pflegebedarf ist völlig unerheblich in diesem System. Man bekommt einen Grad der Pflegebedürftigkeit und damit Summe X, die natürlich bei der Ausgestaltung der Pflegeversicherung nicht den Bedarf abdeckt. Das war auch so gewollt. Jetzt läuft dieses System nun aber schon seit Jahren so. Wer hat nun bei den Kunden den größten Vorteil, besonders bei denen die wenig bis kein Geld zur Verfügung haben? Genau, die Billigheimer. Egal ob Ambulant oder Stationär, in der Langzeitpflege ist gefragt ob es günstig ist. Mehr Leitungen für weniger Geld, sprich Zuzahlung. Wie macht man das? Klar, Kostenfaktor Nummer eins ist das Pflegepersonal. Also möglichst weg damit und wenig Zahlen. 
Jetzt sollte die Politik ein ganz bisschen Vorsichtig sein den Billigheimern die Schuld für diese Entwicklung in die Schuhe zu schieben. Diese Entwicklung der Situation hätte man vorher sehen können. Zumindest wenn man in Ruhe mal diese Geschichte bis zu Ende gedacht hätte. Das ist aber heute schon lange nicht mehr der Normalfall. Man beschließt mit Tammtamm und Fanfaren den großen Wurf um dann irgendwann, mittlerweile immer schneller, zu Merken, hätte ich das mal bis zum Ende durchdacht....  Klingt geil, mach ich so scheint das Motto zu sein. Übrigens nicht nur in der Pflegepolitik.
Und jetzt sitzen wir also da. Ziemlich angeschmiert.
Wahrscheinlich wird kaum einer der Sich nicht mit Pflege und deren Finanzierung beschäftigt hat auf Anhieb verstehen welche Bombe dort sprichwörtlich ins Bett gelegt wurde. Ich Spoiler mal, Pflegende Angehörige wissen spätestens nach der nächsten Abrechnung des unterstützenden Pflegdienstes was ich meine. Bis zu 25% Preissteigerung. Das tut weh. Aber ist ja nicht schlimm ist ja so gewollt. Glaubt einer, dass die Politik vergessen hat die Beträge für Pflegsachleistung zu erhöhen? Wenn ja ändert es auch nichts, der gelackmeierte ist zunächst einmal der Pflegebedürftige. Auch im Pflegeheim, aber da geht das subtiler.
Zunächst ist der Pflegebedürftige der gelackmeierte. Kosten für ambulante Leistungen steigen, Pflegesätze in Heimen steigen. Personalkosten steigen. Aber die Finanzierung bleibt im Volumen gleich. Ich denke, dass der Eine oder Andere bereits drauf gekommen ist was passieren wird.


Aber dazu erstmal ein Beispiel:


Nehmen wir also an sie sind die Verwandtschaft von Herrn und Frau Brömmelkamp beide über 80 , sie Pflegegrad 2 und der Herr Pflegegrad 4. Allerdings wohnen sie sportliche 30 km weg. Bisher hat der Pflegedienst alles an Sachleistung ausgeschöpft um ihre Verwandtschaft über die Runden zu bringen, weil die alte Dame es nicht mehr schafft ihren Mann alleine zu versorgen. Glücklicherweise brauchen die Herrschaften das Pflegegeld nicht zum überleben. Alleine das schreiben zu müssen finde ich schon grenzwertig, ist aber eine andere Baustelle. Dann haben wir also 1612€ für Opa Brömmelkamp und 689€ für Oma Brömmelkamp. Macht zusammen 2301€. Die sind nun aber bereits voll verplant für alles was die beiden benötigen und eigentlich ist das auch schon knapp, so dass Oma Brömmelkamp auch Dinge übernimmt. So und nun kommt die Pflegedienstleitung des neuen Pflegedienstes die sich jetzt einem Tarif anschließen musste. Dazu bekommt sie neue Preise zugewiesen, ja zugewiesen!  Plötzlich kostet das was die Herrschaften beim Dienst gebucht haben aber 2876,25 ein Plus von 25%. Weitermachen heißt 575,25 Monatlich zuzahlen. Mal im Ernst, selbst bei guter Rente ist das doch eher ein Wenig happig. 
Was wird also passieren? Die Leistungen werden gekürzt und sie werden gefragt ob nicht wenigstens Samstags einer vorbei kommen kann um Opa zu duschen.
Selbstverständlich ist das ein wenig plakativ, aber um die Gedanken in die richtige Richtung zu lenken ist es ausreichend.
Politisch halte ich es aber für eine super Aktion. Ich stärke die Pflege durch im Schnitt höhere Gehälter, da bin ich doch einer von den Guten, nicht so ein Balkonklatscher. Dadurch verbessern sich schlagartig die Arbeitsbedingungen und es werden mehr Pflegkräfte kommen und der Pflegnotstand ist Geschichte. Was für ein großer Wurf!
Was wenige bemerken ist, dass man uns alle wieder schön hinter die Fichte geführt hat. Solange im System immanenter Geldmangel herrscht wird die Erhöhung der Löhne zu einer Rationierung von Pflegleistungen am Kunden führen. Es ist in diesem System gar nicht vorgesehen dass die Notwendigen Pflegeleistungen bezahlt werden.  Sie sollen selbst Pflegen!  Um die Lohnsteigerungen zu erwirtschaften braucht man dann mehr Kunden. Woher sollen die kommen?  Kein Pflegenotstand mehr, weil weniger nachgefragt wird, und zack hat das Problem ein anderer. 
Sie, oder ihre Eltern oder andere Verwandte. Die Politik hat doch alles richtig gemacht. Sie werden dann wieder als der größte Pflegedienst Deutschlands bezeichnet und alles wird ganz wunderbar.  So wie es immer wunderbar wird, also für kurz. Ich persönlich halte das ganze eher für wunderlich! Was soll daran gut sein? Entweder rennen Pflegekräfte mehr Patienten ab, oder die Angehörigen machen es selbst. Das wird sicher eine fulminante Steigerung der Qualität zur folge haben. Ich habe da so einen Verdacht wie man darauf reagieren wird, noch mehr Kontrollen. Also mehr Bürokratie, am besten aus dem Budget bezahlt was für die Pflege zur Verfügung steht. Das hat schon immer Funktioniert. Wenn durch Personalmangel Missstände aufgetreten sind, hat man nicht den Personalmangel beseitigt, sondern die Dokumentationspflichten ausgeweitet und mehr Kontrolliert. Sprich: Man spielt Bad Cop bei den "Schwarzen Schafen". Zumindest will man sie das glauben machen.
 Im Vertrauen, ich kenne einige Einrichtungen die von den Behörden längst geschlossen sein müssten. In denen Menschen in Dienstplänen stehen, die nicht existieren, die Fachkraftquoten nicht im Ansatz eingehalten werden,, der Personalmangel einfach zum Himmel stinkt. In solchen Einrichtungen müssen dann Listen geführt werden um zu beweisen wer im Dienst war, die dann von den Behörden überprüft werden, wenn die Listen mit ausreichend Namen gefüllt sind, dann ist alles wieder gut.
 Keine Sorge, es kommt keiner und zählt nach! 
Sie werden beim bescheißen mit Listen (Dienstplänen) erwischt und bekommen als Auflage eine Liste zu führen, damit sie nicht bescheißen. Es muss ein Genie gewesen sein, der diesen Prozess erfunden hat. Oder jemand der zu Feige war ein Heim final zu schließen. So spielt man dann Katz und Maus und und suggeriert hier auch wieder Handlungsfähigkeit. Die Listen führen dann die verbliebenen Pflegekräfte. Verstehen muss man das alles nicht mehr.


Aber ich schweife ab. Ich lasse mich immer wieder gerne hinreißen diesen hirnrissigen Ablauf  der Kontrollen zu beschreiben. Es geht hier ja gerade um etwas anderes. Nämlich was jetzt noch oben, gleichsam als Sahnehäubchen aufgesetzt wird, der große Wurf eben.



Hätte man Wissen können..

  • So weit ich das beurteilen kann hat keiner einen Pflegegrad, der nicht auf Hilfe angewiesen ist. Wenn schon Prävention in Deutschland eher ein Schattenpflänzchen ist, so sollte doch die Erhaltung von Gesundheit weiter im Fokus stehen. Es wird aber im Schnitt so sein, dass die Menschen die auf Pflege zugunsten von Pflegegeld verzichten am Ende der Krise sicher nicht gesundheitliche Gewinner sein werden. Die Frage ist welche Folgekosten wird das haben. Was auch ziemlich sicher ist, dass es wieder die trifft die schon mit dem Rücken zur Wand stehen. Das Phänomen, dass Geld der Faktor für Gesundheit ist, ist seit vielen Jahren bekannt und belegt.

  • Was passiert im Gegenzug auf Seiten der Pflege? Die Kündigung von Leistungen setzt am Ende Personal frei. Es wäre ein vermessener Gedanke, dass nun die Pflegekräfte Zeit haben. Der Flaschenhals ist immer noch die Finanzierung der Pflege. Auch wenn einige diesen Gedanken gar nicht teilen wollen, aber wir arbeiten für Geld. Unternehmen brauchen Geld um ihr Mitarbeiter zu bezahlen. Pflege hat nichts mit Barmherzigkeit zu tun. Es ist ein Geschäft, eine Dienstleistung. Niemand hat etwas zu verschenken, auch Pflegekräfte nicht. Wer jetzt meint ich wäre empathielos, das bin ich nicht. Professionell heißt nicht dämlich und emphatisch heißt nicht dass man seine eigenen Bedürfnisse vergessen muss. Das wir oft vergessen. Das zur Erklärung. Es wird also so kommen, dass wahrscheinlich die nachfrage nach Pflege und damit die Zahl der Pflegekräfte sinkt. Und jetzt reden sie sich bitte nichts ein, das ist Markt, das sollte so passieren. Politisch gewollt und in Gesetze gefasst. Mitarbeiter müssen jeden Monat bezahlt werden, wenn das nicht passiert sind sie nicht weg, sie hören nur auf zu pflegen. Die semilustige Analogie benutze ich schon absichtlich. Was machen diese Kollegen die gerade übrig sind? Sie suchen sich andere Jobs. Weil weder klatschen noch der Pflegepreis vom Ministerium Brötchen bezahlen. Die rein zufällig auch gerade etwas im Preis anziehen. Ich sage es ganz ehrlich, wer aus der Pflege raus ist und was anderes hat kommt nicht wieder. Zumindest der aller größte Teil.



Das hätte man alles wissen können. Allerdings wird auch da mit den selben Taschenspielertricks gearbeitet wie immer. Die Ankündigungen der Verbesserungen übernimmt die Politik. Die Rechnung, die zu Zahlen ist, dürfen dann Andere überbringen. Konnte die Politik ja gar nicht ahnen, dass Pflege nun teurer wird. Klar, warum auch die Tarifpflicht hat man eingeführt weil alle ja super bezahlt werden? Man wusste gar nicht, dass in der Langzeitpflege die Personalkosten so einen großen Anteil haben. Wenn dem so ist dann sollten wir dringlich mal überlegen was das Kompetenzprofil eines Gesundheitspolitikers sein sollte. Oder, was auch möglich ist, wir werden absichtlich verarscht. Wobei man ja nichts der Boshaftigkeit anheimstellen sollte was durch einfache Dummheit zu erklären ist. Andererseits folgt das ganze ja schon lange einer politischen Tradition. Niemals zugeben, dass etwas gar nicht funktioniert, lieber ein wenig Nachsteuern, Anreize setzen und ganz wichtig kontrollieren. 


Anstatt zu sagen die Karre läuft so nicht mehr, wird hier gepinselt, da ein Spoiler angebracht und erklärt: nun Läuft das Ding.

Man kann aus einem Esel kein Rennpferd machen. 


Probleme löst man in dem man die Ursachen bekämpft und nicht die Symptome. Der grundsätzliche Mangel wird nicht angegangen. Es werden ständig verschiedene Dinge in einen Topf geworfen und verrührt bis keiner mehr versteht worum es eigentlich geht. Viele die von Pflege sprechen, sprechen eigentlich von Betreuung. Haben sie schon einmal drüber nachgedacht, dass alles was Pflegekräfte machen auch von ihnen übernommen werden kann wenn sie wollen? Nun, dass liegt möglicherweise daran weil es gar keine Pflege im Sinne des Berufes ist. Bloß weil sie möglicherweise Räder wechseln können würden sie ja nicht glauben sie sind Automechaniker. Ich mache ihnen keinen Vorwurf, woher sollen sie das auch wissen, weil alles wofür Pflege bezahlt wird dürfen sie ja auch und können es in der Regel auch.

Es sind basale Hilfestellungen.

Sie werden in keinem Leistungsangebot eines Pflegedienstes Posten wie Pneumonieprophylaxe, oder Kontinenztraining sehen, genau so wenig wie pauschalen für fach- und sachgerechte Planung. Keine Rechnungen über Briefe an Krankenkassen oder Kostenträger. 

Die Liste ist beliebig zu verlängern. Kurz um, was Pflege kann und ausmacht wird nicht vergütet. Damit das aber läuft hat sich der Gesetzgeber natürlich was ausgedacht: Kontrolle. Wenn ich nicht bezahlen will aber trotzdem die Leistung bekommen will, dann mach ich halt ein Gesetz dazu. Die professionelle Pflege soll alle möglichen Standards einhalten, die tatsächlich auch manchmal Sinn machen. Allerdings wird das natürlich nicht vergütet. Vergütet wird nur die Hand am Patienten, Planung, Evaluation, Fortbildung Fallbesprechungen müssen über Waschen und Toilettengänge finanziert werden. Falls sie sich Fragen wie das gehen soll, das frage ich mich auch. Was ich mich nicht frage, warum immer und immer mehr Fachfremde in der Pflege eingesetzt werden. Aus oben genanntem Grund. Einer muss das Geld für die Fachkräfte verdienen. Das sind mittlerweile in Heimen, mit gesetzlicher Billigung, die Hälfte aller Beschäftigten. Würden sie das in der Autowerkstatt oder bei einem Arzt akzeptieren? Wenn nicht machen sie sich mal Gedanken darüber. Pflegen kann eben nicht jeder, wir haben entweder ein Staatsexamen oder ein Studium hinter uns gebracht. Werden sie doch einfach Lehrer weil sie Kinder haben! Das geht nicht? Nach dem gedanklichen Ansatz: Pflege kann jeder, geht das doch! Sie müssen nur wollen und schon sind Sie teil der größten Schule Deutschlands! Sie glauben nicht, dass das genau so passiert in der Pflege?

Also seinen sie nicht böse wenn sie jetzt Oma oder Opa duschen müssen, das ist eine Tätigkeit für ungelernte Hilfskräfte. Um den Rest kümmern wir uns, solange sie uns noch bezahlen können. Aber das könnte nach dem nächsten großen Wurf schon ganz anders aussehen. 

Aber auch wenn Heime ihre Gasrechnungen nicht mehr stemmen können oder ambulante Dienste ihren Sprit nicht zahlen. Dann lernen sie am besten ganz schnell Pflege, oder das was man ihnen erzählt hat was Pflege ist. Sie überwinden bestimmt ganz schnell ihre Hemmungen wenn Zuzahlungen im vierstelligen Bereich für ambulante Pflege im Raum stehen. Glauben sie, da werden einige nicht mehr sagen, deinen Job könnte ich nicht. Meinen Job können sie wenn sie nur wollen, zumindest das Tagesgeschäft, meinen Beruf allerdings noch lange nicht. Dann können sie vielleicht vom Pflegegeld wenigstens ihre Rechnungen bezahlen. So wie es jetzt schon vielen alten Menschen geht. 



Und was macht die Pflege als Profession?


Zuschauen, wie immer. Sie wartet auf Rettung und wenn sie merkt, dass sie auch dieses Mal wieder den kürzeren gezogen hat wird sie Wahlweise auf Politik, Pflegekammern, Gewerkschaften oder was auch immer schimpfen. Dann wartet sie still und leise auf den nächsten großen Wurf der sie Retten wird. Also alles wie immer. 


Nachtrag Stand Ende September

Die Lage in Deutschland verschärft sich. Es ist gar nicht mehr nur das Problem der Pflegefinanzierung. Energiepreise sind der Kostentreiber Nummer Eins. Man muss kein Hellseher sein um zu ahnen was nun als nächstes passieren wird. Menschen die Auf Pflege angewiesen sind werden eher auf Pflege verzichten als auf Essen oder Heizung. Es ist anzunehmen, dass wie es auch bisher schon völlig normal ist, Menschen deren Einkommen kaum für das tägliche Leben reicht, Leistungen Kündigen werden und das dann erhaltene Pflegegeld in ihr überleben stecken werden. Die Probleme und Kosten die das verursachen wird werden nicht ohne sein. Dazu zwei Gedanken.

Es werden also spannende Zeiten. Das mehr an Geld für die Pflegekräfte wird in der Inflation verpuffen. Am Ende der Krise wird es vielen Menschen gesundheitlich schlechter gehen. Und der Fachkräftemangel geht nicht weg. Das wird so bleiben bis jemand begreift, das Pflege nicht kostendeckend sondern bedarfsdeckend organisiert sein muss. Würden sie die Feuerwehr abschaffen bloß weil es länger nicht gebrannt hat? In Medizin und Gesundheit wird das so gemacht. Daseinsvorsorge und Kostenreduktion sind Zielkonflikte. Die gilt es zu lösen. 

Das wäre der große Wurf!

Nachtrag Oktober:

Nun dreht sich das Rad wieder, es wird langsam Herbst und die Kollegen, die nun den nächsten Winter unter "Pandemiebedingungen" arbeiten müssen brechen weg. So leicht geht das, Covid ist schuld. Ich kann es tatsächlich nicht mehr hören. Das System war vor Covid schon am Anschlag. Was jetzt passiert ist nicht einfach auf Covid abzuwälzen. Es ist nicht einfach auf Maskenverweigerer und Partys zu schieben. Es sind Monate um Monate mit Covid ins Land gegangen und kein Schwein hat sich für die Bedingungen interessiert. Es ist nicht von Substanz beschlossen worden. Der Aufschrei nach Maskenpflicht und X-Fach Impfung ist so durchschaubar wie daneben. Jetzt haben einige wieder Angst sie bekommen nicht die medizinische Aufmerksamkeit die sie sich vorstellen. Ich kann verstehen, dass einige Angst davor haben. Allerdings bedroht euch jede Grippe oder was auch immer gerade umgeht. Es ist schon lange von Glück abhängig ob ihr gut behandelt oder gepflegt werdet. Redet euch nicht ein Covid ist Schuld. Das ist einfach zu kurz gegriffen, Pflegekräfte und anderes medizinisches Personal wird auch krank. Da können Sie so viel Maske tragen wie Sie wollen. Auch Fakt ist, je länger es so läuft wie jetzt um so mehr. In der für euch covidfreien Zeit konnten wir unsere Leistung endlich wieder von 150% auf 105% drosseln. Entspannung? Wo? Es ist niemand da um Überstunden abzubauen. Wir fahren schon in dem was ihr als Normalbetrieb kennt an der Grenze des machbaren. Die Verantwortlichen für diese Situation sind nicht die Menschen die keine Maske mehr tragen wollen oder was auch immer gerade verlangt wird um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Es sind die, die meinen unser Gesundheitssystem sei im Grunde gut aufgestellt. Eigentlich haben wir ja genug Pflegekräfte, sie sind halt nur am falschen Platz, das glauben zumindest die die politisch dafür verantwortlich zeichnen. Okay im Grunde haben sie Recht. Die Pflegekräfte sind in Teilzeit, weg oder krank. Ein Zusammenlegen von Patienten und Menschenmaterial in Pflegeburgen macht keine gute Versorgung. Es erleichtert nur das Verschieben von viel zu knappen Ressourcen. Ich habe keine Ahnung wer als nächstes Schuld sein wird, was ich aber sicher weiß ist, dass die Gesundheitspolitik sicher jemanden finden wird der dafür verantwortlich ist. Nur eben halt nicht die Politik, die macht im Grunde alles richtig. Einfach weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen, wir informieren sie wenn es nötigt ist. 

Manchmal überholt einen die Realität sogar beim Schreiben. Während ich an meinem Text arbeite verkündet Herr Lauterbach, dass die Pflegenden in den Krankenhäusern nur falsch eingesetzt werden, aber im Grunde genug da sind. Die Antwort ist, die anstrengenden Nachtdienste müssen weg. Warum kommt er darauf, dass das eine Lösung ist. Was will er? Mehr blutige Entlassungen? Das Problem auf Angehörige und ambulante Dienste abwälzen? Was passiert wohl wenn immer mehr ambulant in Tageskliniken operiert wird? Die Komplikationen werden dann am Ende die den Rettungsdienst und die Notaufnahmen belasten. Ich bin mir nicht sicher ob der Mann das Gesundheitswesen in seiner Komplexität versteht, Expertise für pflegerische Belange hat der Mann jedenfalls nicht. Er ist Gesundheitsökonom mit Approbation als Arzt. 


Also alles wie immer. Und wenn der Sommer wieder kommt ist doch alles wieder gut.






Mittwoch, 23. Dezember 2020

Drei Jahre später ...

Es ist mittlerweile viel passiert und viel Zeit vergangen. Ich habe die Seiten gewechselt. Mich als Leitung in den Burnout gearbeitet. Dabei habe ich immer versucht alles richtig zu machen. Einfach nicht wie andere den Druck nach unten weiterleiten, Arbeitsrecht ernst zu nehmen. Aber was hat es mir gebracht? Meine Familie hat gelitten, einfach nur weil ich es richtig machen wollte. Das ist jetzt Geschichte. Irgendwie hab ich mich aufgerappelt und mich wie so oft neu erfunden.

Daraus wurde : Ein letzter Versuch Pflege. 

Jetzt bin ich PDL in eine Wohneinrichtung. Riesen Haus und man sollte meinen es gibt Ressourcen. Gibt es aber nicht. Die Kollegen arbeiten auf 200%, isolieren sich selbst und gehen am Stock. Die Bewohner sind zu mindestens einem Drittel in den Pflegegraden zu niedrig. Der Grund, keine Zeit, schlechte Schulung im Dokumentationssystem, der Bewohner muss erstmal versorgt werden. Ich habe das Problem angepackt und es hat funktioniert. Nur was hab ich jetzt? Genau, ich könnte Personal einstellen. Doch woher? Es war vor Corona schon nicht leicht, aber jetzt? Nicht mal mehr Leiharbeit ist zu bekommen. Die Qualität leidet, die Mitarbeiter leiden. Die übliche Antwort wurde auch schon gegeben, es muss mehr Kontrolle her. Klasse Idee! Was sollte das denn bringen? Menschen die jeden Tag wegen Personalausfällen entscheiden müssen was unbedingt wichtig ist und was warten muss zu sagen ihr habt nicht alles geschafft was wir verlangen?

Wisst ihr was wir tun? Das, was allen das kalte Schauern erzeugt. Triage! Jeden Tag! Glaubt ihr nicht? Triage heißt nicht nur über Beatmung zu entscheiden. Es heißt bei mangelnden Ressourcen Prioritäten zu setzen, damit möglichst viel für ALLE erreicht wird. Es ist nie eine Gute Entscheidung dabei. Es geht nur darum den Gesamtschaden möglichst niedrig zu halten. 

Ich fürchte nur es wird nach Impfung und möglicherweise Ende der Pandemie in der Pflege nicht mehr besser werden. Zwölf Stunden Schichten, Arbeitsquarantäne, Dienstverpflichtung, Lavendel und Klatschen tun gerade ihr zerstörerisches Werk, keiner hat mehr Bock wichtig und arm und alleine zu sein. Gotteslohn ist um. Das ist nunmehr der Preis der zu zahlen ist. Das ganze Lied von Verantwortung für die Menschen zieht nicht mehr. Was die Pflege gelernt hat in 2020 ist, sie sind Menschen 2. Klasse. Für jeden systemrelevanten Scheiß ist Geld da, für die Pflege Lavendel. Alles geht von Böllerverbot bis Ausgangssperre, mehr Lohn für die Leute an der Front? Ne, das würde das System zu sehr belasten!

Ich habe mich mal verpflichtet gefühlt mich an die Regeln zu halten. Aber warum? Weil ich erwartet habe, dass man sieht: so geht es nicht mehr weiter. Ich dachte Corona zeigt deutlich die Schwächen des Systems Pflege in Deutschland. Aber es passiert nichts. Man redet sich weiter ein, dass alles gut gewesen ist, vor Corona, und danach auch alles wieder gut sein wird. Ich lehne mich so weit aus dem Fenster zu sagen, es wird nicht wieder gut. Ich sehe meine Mitarbeiter zweifeln. Sie zweifeln an dem was sie tun, zum Teil verzweifeln sie. Menschen bereiten sich auf ein einsames Weihnachten vor. Pflegekräften bleibt nicht einmal mehr das. Sie bereiten sich darauf vor in den nächsten Wochen noch mehr belastet zu werden. Weihnachten ist in der Pflege Jahr um Jahr die Hölle. Ausfälle, Krankheit, Einspringen, die Nerven liegen blank. Dieses Jahr weiß man nicht einmal mehr wann dieser Zustand endet. Im Januar, oder vielleicht erst im März oder gar erst nächstes Weihnachten? Die Überstunden die wir schieben, was sollen wir damit? In Freizeit nehmen, lächerlich! Bei der Personalnot ist jeder der Frei hat eine kleine Katastrophe. Bezahlen lassen? Leute, es gib viele in Kurzarbeit Null, die am Ende des Monats mehr Geld auf dem Konto haben als eine Pflegekraft.

Warum ich glaube, es wird nicht besser? Was zur Zeit gesucht wird sind nämlich Freiwillige. Freiwillige die uns entlasten. Was sagt mir das? Es ist immer noch niemandem klar, das Pflege Geld kosten darf, Geld kosten muss. Wie lächerlich würde es wirken wenn VW nach freiwilligen Mitarbeitern suchen würde um ihr geplantes Absatzziel zu erreichen? Da würde jeder sagen, wenn sie Leute suchen, müssen sie Geld auf den Tisch legen. Mit Recht! In der Pflege ist das natürlich anders, wie immer alles  anders gesehen wird, in der Pflege. Wir sollen das System bitte nicht mit unseren Forderungen und Wünschen belasten. Wir sollen halt nur Wünsche erfüllen, das am besten kostenlos. Es wurde gesagt, wir haben einen sicheren Job, deswegen sollten wir dankbar sein. Für einige Kollegen war es übrigens ein todsicherer Job. Die Kollegen werden die Pflege verlassen, einer nach dem anderen und es wir noch immer keiner merken was passiert. 

Die Pflege hat nicht die Menschen aufgegeben. Die Menschen haben die Pflege aufgegeben.


euer Garcon de Piss


Dienstag, 28. März 2017

Ich feiere mit jedem der es tut, der raus ist aus diesem Job.

Hier ein Gastbeitrag einer geschätzten Kollegin, auch hier könnt ihr sehen, dass die Pflegenden in Deutschland wissen, dass es es nicht fünf vor Zwölf, sondern zwanzig nach Eins für eine Veränderung in der Pflegelandschaft ist.
Wie so viele Kolleginnen möchte sie natürlich nicht namentlich erwähnt werden, was ich verstehe. Auch so ein Phänomen in der Pflege. Wer die Wahrheit offen ausspricht bekommt ziemlich schnell ein Problem. Traurig aber wahr. 
Aber schaut euch erstmal an was sie zu sagen hat:



Kürzlich las ich es wieder:


 Pflegekräfte streiken nicht, sie gehen in den Pflexit.


Und wisst Ihr was? 

Ich feiere mit jedem der es tut, der raus ist aus diesem Job.

Ich habe es satt vergeblich um Veränderungen zu kämpfen.
Euch da draußen ist Pflege egal. Und solange das so ist, besteht keine Chance auf Besserung. Statt Euch zu informieren, Euch zu interessieren, uns zu helfen Druck auf die Politik auszuüben nickt Ihr mitleidvoll den Kopf: schlimm, ja schlimm ist das alles und nein, also ich könnte das ja nicht. Immer mehr Pflegekräfte können tatsächlich nicht mehr, ich gehöre inzwischen auch dazu. 
Jahrelanger mutiger Kampf um Veränderung zum Guten. Um eine menschenwürdige Pflege. Von den meisten in dieser Gesellschaft ignoriert und auch deshalb vergebens. Letztlich ist Euch die Versorgung Eurer Lieben und Eure eigene egal. Sonst würdet Ihr wissen, was die Partei Eurer Wahl für Pflege tut. Wissen, dass Pflegekräfte viel mehr tun als Ausscheidungen wegräumen. Im Übrigen auch jene Pflegekräfte außerhalb von Intensivstationen

Meine Kollegen und ich versorgen überwiegend Menschen, die dem Tod näher sind als dem Leben. Sie können nicht aufstehen, sich nicht aufsetzen, sich nicht selbst auf die Seite drehen. Sie können nicht selbst essen, sich nicht bemerkbar machen, ihre Ausscheidungen kontrollieren, oftmals wissen sie nicht wo sie sind. Sie haben Angst, oftmals Schmerzen. Sie wiegen zwischen 60 und 120 kg.
Ich habe heute 9 dieser Menschen allein gewaschen, gelagert, von ihren Ausscheidungen befreit, ihnen den Schleim den sie nicht abhusten können aus den Atemwegen gesaugt, teelöffelweise Brei und Flüssigkeit gereicht, erkannt ob sie Schmerzen haben und darauf entsprechend reagiert. Meine Kollegin und ich sind für 17 von 34 Patienten unserer Station zuständig. Von „unseren“ 17 sind 16 komplett auf Hilfe angewiesen. Ein einziger Patient kann aufstehen. 8 der Patienten liegen mit schwerer Influenza-Infektion im Isolierzimmer. Sie fiebern hoch, bekommen sehr schlecht Luft, bei einigen ist nicht klar ob sie überleben werden. Angehörige schimpfen, weil sie sich während des 10-minütigen Besuchs durch die speziellen Schutzmasken beengt fühlen. Meine Erklärungen über Notwendigkeit, hundertfach erzählt, verpuffen in genervten Blicken. Ich arbeite über Stunden mit diesen Masken körperlich schwer, mir rinnt der Schweiß sonstwo lang nachdem ich an den hilflosen Menschen gezogen, geschoben und gehoben habe. 
Die pflegerische Versorgung ist schlecht, es ist nicht zu schaffen. Druckgeschwüre entstehen, Muskeln bilden sich zurück, Kontrakturen entstehen. Mobilisation findet kaum mehr statt. Dies wird einfach hingenommen. 

Uns Pflegende macht das sprachlos. 

Ein Großteil unseres Wissens, unserer Profession besteht darin genau dies zu verhindern! Und trotzdem weigere ich mich inzwischen, erwachsene Menschen ohne Hilfsmittel aus dem Bett zu zerren. 

Meine Rückenschmerzen sind so schon unerträglich.

Dies ist seit vielen Wochen so. Betten sind schon wieder belegt, bevor der vorherige Patient entlassen ist. Wir bekommen morgens gesagt, wer nach Hause/ins Heim zurück kann und müssen dies dann alles nebenbei organisieren. 
Dann wird umgeschoben und gereinigt was das Zeug hält um alle Betten sofort wieder zu belegen.
Die Notaufnahme schimpft seit Stunden, weil Patient X seit 2 Uhr nachts auf ein Bett wartet. 
Wir haben Pflegedienstleitung, Klinikleitung, Geschäftsführung und Betriebsrat informiert, zahllose Gefährdungsanzeigen geschrieben, um Hilfe gebeten, ja gebettelt. 
Erfolglos. 
Die Führungsebene macht lieber persönliche Fehden daraus, statt Probleme zu lösen.

Es wird ohne Rücksicht weiter voll belegt. 

Nur die Fallzahlen sind wichtig.
Krankenhäuser müssen Geld verdienen. 
Ob Menschen deshalb Schaden nehmen – gleichgültig ob nun zu Pflegende oder Pflegende, es kümmert niemanden. 

Meine Kollegen und ich haben zu viel Schaden genommen. 
Uns bleibt nur der Pflexit.

Auch das las ich kürzlich: die Gesellschaft müsse auf die Strasse gehen, nicht die Pflege. 

So ist es, denn Ihr werdet morgen diejenigen sein, die Schaden nehmen.



Sr. Whistleblower*



*leider kann man sowas nur Anonym veröffentlichen, sonst hat man sehr schnell einen Pflexit, ob man will oder nicht.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Offener Brief an Die Welt

Offener Brief an "Die Welt"


Soeben las ich diesen Artikel der Welt.

Und allein die ersten beiden Sätze beförderten meinen Blutdruck in pathologische Höhen.
Dort heißt es nämlich: „Das Durchschnittseinkommen Hochbetagter (in NRW) reicht laut einer Studie oft nicht aus, um ein Altenheim aus eigener Tasche zu bezahlen. DAS LIEGT AN vergleichsweise FAIREN LÖHNEN FÜR PFLEGEKRÄFTE.“

Zwei Skandale in zwei Sätzen:

  1. Die Rente vieler Pflegebedürftiger geht offenbar zu 100% für eine stationäre Unterbringung drauf, so dass Sozialämter noch zusätzlich einspringen müssen, sobald sämtliche Vermögenswerte verfrühstückt wurden.

  1. Schuld daran sind natürlich die fiesen Pflegekräfte, die so etwas wie eine „faire Entlohnung"  fordern. Wo gibt es denn sowas?

Ach ja, in NRW gibt es so etwas. Da werden angeblich in Borken Pflegekräften satte 3175 Euro brutto durchschnittlich hinter her geworfen. Pfui! Wie unverschämt ist das denn? Rechnet man die Zulangen für Spät- und Nachtdienste sowie für Sonn- und Feiertagsarbeit heraus, bliebe da ja ein sagenhaftes Grundgehalt von...
Ach lassen wir das. Es ist einfach unverschämt und gemein den zu Pflegenden gegenüber.
Die pflegerischen Fachkräfte im Osten Deutschlands machen es schließlich vor. In Leipzig zum Beispiel. Da buckeln die Kollegen auch rund um die Uhr und sind dankbar für ganz doll viel politisch-verbale Anerkennung, zweimal im Monat ein „Also deinen Job könnte ich ja nicht.“ des Nachbarn und ein Durchschnittseinkommen von 1714 Euro brutto. Na geht doch. Und schon kostet der Heimplatz wenig genug, dass Tante Hildegards Witwenrente ausreicht und weder ihre Angehörigen noch das Sozialamt mit irgendwelchen zusätzlichen Kosten belästigt werden.

Und jetzt mal im Ernst:

Was stimmt mit Euch nicht?

Wir Pflegekräfte sind doch kein beschissener Kostenfaktor. Wir sind Menschen. Menschen, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, professionell Alte und Kranke zu pflegen. Menschen, die mit diesem Beruf ihr Leben finanzieren müssen. Vielleicht auch eine Familie ernähren. Menschen, die womöglich mal in Elternzeit gehen wollen (Elterngeld!). Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, selber krank zu werden (Krankengeld!). Menschen, die sofern sie sich nicht vorher tot schuften, auch nach ihrem Berufsleben über die Runden kommen wollen (Rente!).

Lieber Welt Schreiberling, haben Sie eigentlich daran gedacht, dass für all diese Dinge, also von Elterngeld bis Rente, die Zulangen für Nacht- Feiertagsarbeit etc. oder wie wir es nennen „das Schmerzensgeld für den Verzicht auf ein Sozialleben“ völlig irrelevant sind? Es zählt einzig das Grundgehalt. Und das muss man jetzt nicht mal detailliert ausrechnen oder Borken mit Leipzig vergleichen, um auf den ersten Blick zu erkennen „Oh, das könnte knapp werden.“
Natürlich kann man sich darüber freuen, dass Sozialämter in Ostdeutschland seltener einen Heimplatz bezuschussen müssen. Blöd nur, wenn dafür die Familien der Pflegekräfte auf sogenannte „Aufstockung“ angewiesen sind oder ehemalige Pflegende Grundsicherung benötigen, nicht wahr?

Wenn Sie den Finger in die Wunde legen wollen, dann fragen Sie doch mal, wie es dazu kommen konnte, dass viele Renten zur Finanzierung einer menschenwürdigen Versorgung pflegebedürftiger Senioren zu niedrig sind!


Fragen Sie, wie es dazu kommen konnte, dass eben jene, die diese wichtige Aufgabe übernehmen, einzig als Kostenfaktor betrachtet werden!

Fragen Sie, wie eine Gesellschaft Jahrzehnte lang bei den Themen Krankheit, Pflege im Alter und Tod einfach weg sehen konnte!

Fragen Sie, warum jeder gut versorgt, aber niemand dafür bezahlen möchte!

Für die Zukunft gebe ich ihnen einen Tipp: Wenn sie etwas zum Thema Pflege schreiben wollen, vermeiden sie es so zu tun, als würde irgendwo in Deutschland die hoch professionelle, zwingend notwendige, physisch wie psychisch anstrengende Arbeit meiner Kollegen, von der Menschenleben abhängen, auch nur annähernd adäquat entlohnt.

Pflegenotstand? Da war doch was. Liegt wohl kaum an der tollen Entlohnung und den supi Arbeitsbedingungen, dass viel zu wenige einen der Pflegeberufe ergreifen bzw. zu viele bereits nach kurzer Zeit wieder aussteigen, oder?

Außerdem vermeiden Sie bitte den armseligen Versuch, Gesunde (also Einzahler in Pflege- und Krankenkasse), Pflegebedürftige und Pflegekräfte gegeneinander auszuspielen, in dem Sie irgendjemanden einfach zum Kostenfaktor degradieren, für den dann „ein Anderer“ aufzukommen hat.

Es sind Menschen, die es verdient haben menschenwürdig gepflegt zu werden.
Und es sind Menschen, die Überstunden machen und bis an ihre physischen und psychischen Grenzen gehen um eben genau das tun.


Teilweise für 1714 Euro brutto und drunter. Denken Sie mal darüber nach!



Eure schwerst mehrfach angesäuerte

@emergencymum

Samstag, 24. September 2016

Alle gegen die Pflege

Was ist denn da schon wieder los?

Ich habe vor ein paar Tagen einen SZ Artikel zur Situation der Krankenhäuser in München gelesen, der mich einfach nicht loslässt.
Der Artikel fing vielversprechend an um mich dann am Ende erstaunt und wütend zurückzulassen. Am Anfang ging es darum, dass die Münchener Krankenhäuser sich um Pflegepersonal bemühen müssen und dass sie dabei mittlerweile allerlei Sonderkonditionen bieten müssen um überhaupt noch Fachkräfte binden zu können.
Ich war entzückt, endlich ist es in Deutschland dazu gekommen, dass begriffen wird, Pflege ist ein Arbeitnehmermarkt. Es bewegt sich was, dachte ich.
Und dann das:

"Der runde Tisch ist erst der Einstieg in ein komplexes Thema. Mir ist wichtig, dass die Kliniken nun miteinander reden und sich nicht auf dem Arbeitsmarkt gegenseitig die Kräfte streitig machen", sagte Jacobs. Das Problem, gute Kräfte dauerhaft in der Stadt zu binden, kennen zumindest die meisten Betreiber. Doch konkrete Zahlen über die Situation in München gibt es nicht. Die eigenen Zahlen kennen alle Krankenhäuser, die der Konkurrenten eher nicht. Deshalb spendiert die Stadt zum Start des runden Tisches 100 000 Euro für ein eine exakte Analyse der Situation."

Eine Aussage der Gesundheitsreferentin der Stadt München.

Dass sich Arbeitgeber zusammen schließen um sich nicht gegenseitig dass Leben schwer zu machen, ist ja okay. Aber dass die Politik und Verwaltung dieses anstößt und auch gleich noch Geld dazu gibt, lässt mich fassungslos zurück....

Die Politik, die ständig von der armen Krankenschwester spricht, für die sich die schwere Arbeit wieder lohnen muss, will dass die Marktgesetze nicht gelten. Ich finde schon das hat echt Geschmäckle. Man versucht aktiv ein Bündnis der Arbeitgeber zu schmieden um den Forderungen der Arbeitnehmern etwas entgegen zu setzen. Anstatt die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu begreifen, der Pflegenotstand ist da, wird analysiert und gegen die Arbeitnehmer gemauert.

Sicher, die Stadt München betreibt Kliniken, daher ist es ihr eigenes Interesse, dass sie nicht jeden Preis mitgehen wollen. Also wird hier aktiv versucht in den Markt einzugreifen. Es geht ums Geld nicht um die Pflegekräfte.
Wie ist es denn mit der immer so viel beschworenen Nachhaltigkeit?
Man will also Personal rekrutieren ohne mehr Geld in die Hand zu nehmen?
Man glaubt, man könnte so die Situation verbessern?
Wohl kaum!

Es ist Zeit, dass endlich erkannt wird, die Pflege kann ganz Deutschland in den Würgegriff nehmen wenn sie nur will! Da helfen auch keine 100.000 Euro für eine Analyse nichts. Wir sind zu wenig und das kann man nicht allein durch eine Ausbildungsoffensive ändern. Denn wenn danach die Kollegen schreiend weglaufen, weil die Bezahlung Mist ist, die Arbeitsbedingungen unerträglich, die Freizeit immer öfter unterbrochen wird und man letztendlich nur noch für den Arbeitgeber lebt, dann muss das Übel an der Wurzel gepackt werden.
Faire Bedingungen, faire Bezahlung, planbare Freizeit und vor allem Respekt gegenüber den Mitarbeitern. Dann könnte es was werden. So, liebe Freunde aus München, ist das nur der klägliche Versuch Gras auf einem Minenfeld zu sähen, das man selbst angelegt hat durch jahrelanges Wegsehen.

Aber bitte, macht nur weiter so! Das dicke Ende kommt bestimmt.

Euer

Garcon de Piss


Mindsets: Meine Eltern werden pflegebedürftig, was nun? Die Sicht der Angehörigen

  Meine Eltern werden pflegebedürftig, was nun? Die Sicht der Angehörigen Was ich jetzt beschreibe ist eine Sicht auf die häufigsten Erfahru...